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George Dickie zur Einführung Dimitri Liebsch
Wer nach Theorien sucht, die Kunst als Institution oder System beschreiben, wird sich vermutlich am ehesten im Umfeld von Soziologie und/oder Konstruktivismus umsehen und dann etwa bei Niklas Luhmann, Siegfried J. Schmidt oder - um auch ältere Referenzen zu nennen - bei Peter Bürger fündig werden. Dabei ist hierzulande bislang weitgehend unbemerkt geblieben, daß eine derartige Suche auch im Kontext der analytischen Philosophie erfolgreich sein kann: George Dickies Arbeiten zur Ästhetik sind seit Ende der 60er Jahre eng mit der Entwicklung von Institutionstheorien der Kunst verknüpft. Wie auch der Blick in die Bibliographie zeigt, besteht aber bislang ein flagrantes Mißverhältnis zwischen seiner Rezeption im angelsächsischen und deutschsprachigen Raum. Wird ihm dort zu Recht attestiert, die Landschaft der analytischen Ästhetik nachhaltig beeinflußt zu haben, ist er hier weitgehend unbekannt und bislang auch noch unübersetzt geblieben. Ein gründlicher Blick auf seine Theorien der Institution Kunst lohnt nicht allein deshalb, weil sich Dickie mit ihnen am deutlichsten profiliert hat, sondern auch weil sie eine ansprechende theoretische Reaktion auf eine immer noch aktuelle Frage darstellen: Wie läßt sich Kunst definieren? Die Situation, die aus den Antworten auf diese Frage in den 60er Jahren entstanden war, kann man als komplex, als reich an Differenzen oder auch als hoffnungslos unübersichtlich bezeichnen. Es gibt keine bündige, von allen geteilte Definition von Kunst. Dickie selbst hat diese Einschätzung in teils historischem, teils systematischem Zugriff zunächst bestätigt. Zum einen konstatiert er, daß die Versuche, das Wesen der Kunst zu bestimmen, von der antiken Mimesis über den Rekurs auf den (mehr oder minder) genialen Künstler bis hin zu zeitgenössischen Versuchen partikulär geblieben und somit gescheitert sind. Zum anderen hat er den von Ludwig Wittgenstein angeregten und von Morris Weitz in die Ästhetik eingeführten Differentialismus zur Kenntnis genommen, demzufolge es keine Eigenschaften gebe, die allen "Kunst" genannten Gegenständen gemeinsam seien; es gebe eben allenfalls "Familienähnlichkeiten". In diesem Zusammenhang gelingt Dickie der keineswegs unerhebliche Nachweis, daß es sich bei diesem Differentialismus letztlich nicht um ein Novum der jüngeren Sprachanalyse handelt, sondern daß er sich bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts bei dem Schotten Dugald Stewart nachweisen läßt. Dickies eigene Definitionsvorschläge stehen jedoch sowohl quer zum zeitgenössischen Differentialismus als auch zum früheren, naiven Essentialismus. Anders als Weitz hält er den Wechsel von der Objekt- zur Metaebene, den Wechsel von der Frage "was ist Kunst?" zur Frage "welche Art von Begriff ist 'Kunst'?" nicht für zwingend. Um sich weiterhin auf der genannten Objekt-Ebene bewegen zu können, ist es nach Dickie allerdings nötig, statt der gewissermaßen oberflächlichen Ausschau nach "Familienähnlichkeiten" eine Suche nach den konstitutiven Eigenschaften von Kunst vorzunehmen. Mit und gegen Wittgenstein gesagt: Um von "Familienähnlichkeiten" reden zu können, muß überhaupt erst einmal eine Familie identifiziert werden; und dies ist nicht auf der Ebene von Ähnlichkeiten möglich. Dickie hat seine eigene Wesensbestimmung der Kunst, die man als aufgeklärten Essentialismus bezeichnen kann, Anfang der 70er Jahre auf die Formel gebracht: "Ein Kunstwerk im klassifizierenden Sinn ist (1) ein Artefakt, (2) eine Menge seiner Eigenschaften, der der Status eines Kandidaten für Wertschätzung durch eine oder mehrere Personen übertragen wurde, die im Namen einer bestimmten gesellschaftlichen Institution (der Kunstwelt) handeln." Der klassifizierende Zuschnitt seiner Institutionstheorien hat Dickie immer wieder den Vorwurf eingetragen, sich zwar 'irgendwie' mit Kunst, aber nicht mit Kunst im 'eigentlichen' Sinne zu befassen - Kunst im 'eigentlichen' Sinne sei ästhetisch wertvolle bzw. gute Kunst. Dieser Vorwurf ist allerdings hochgradig irreführend. Erstens hat Dickie zu keiner Zeit bezweifelt, daß die Frage der Wertung, die Frage nach guter und schlechter Kunst eine höchst relevante ist. Er hat nur stets und am ausführlichsten in seiner Monographie Evaluating Art darauf hingewiesen, daß diese Frage eine andere ist als die Frage nach der Klassifikation von Kunst. Und zweitens bringt, wie sich mit Dickie zeigen läßt, die voreilige Identifizierung von Kunst mit guter Kunst gerade in Bezug auf Wertungsfragen handfeste Probleme mit sich. Die wirklich nicht zu leugnende Tatsache, daß es auch immer wieder hundsmiserable Kunstwerke gibt, wäre vor dem Hintergrund einer derartigen Identifizierung theoretisch nicht mehr zu bewältigen; für all diese stünde dann nämlich noch nicht einmal mehr eine Bezeichnung zur Verfügung. Auf die kontroversen Debatten, die seit den 70er Jahren über Kunst als Institution geführt worden sind, hat Dickie in die 80er Jahren noch einmal grundsätzlich reagiert. Seine damals entwickelte zweite Variante der Institutionstheorie stärkt gegenüber der ersten insbesondere die Position des Künstlers, dessen Intentionen nun deutlicher ins Kalkül miteinbezogen werden. Dickie leistet hier auch einen Beitrag zur theoretischen Bestimmung der Arbeit des Künstlers, was gerade angesichts der von ihm gewählten heiklen Beispiele aus dem Kontext der Avantgarde anregend und diskussionswürdig ist. Gleichwohl hält er seine Kritik an der romantischen Vorstellung vom Künstler im Elfenbeinturm aufrecht. Die Intention, ein Kunstwerk herzustellen, hat laut Dickie fraglos einen sozialen Index; sie alleine impliziert schon eine Ausrichtung auf die Kunstwelt und ihr Publikum. Ebenso wenig könne eine Ästhetik allein auf das Moment der Rezeption, etwa auf eine Art ästhetischer Einstellung gegründet werden. Den institutionellen Charakter von Kunst ernst zu nehmen, heißt nach Dickie den Interdependenzen nachzugehen, die zwischen allen ihren Momenten bestehen: zwischen Kunstwerk, Künstler, Publikum, einzelnen Kunstsystemen (wie Literatur und Musik) und schließlich dem Gesamt, nämlich der Kunstwelt. Definitionen dieser Momente werden damit zwangsläufig zirkulär und verweisen auf jeweils benachbarte Definitionen. Aufgrund dieser Verweisungen nennt Dickie Begriffe wie "Kunstwerk", "Künstler" usw. auch "inflected concepts". Schon Dickies Nomenklatur, welche die Kunst sowohl unter "system" wie auch unter "institution" führt, legt nahe, daß eine Rezeption seiner Theorien auch außerhalb des analytischen Kontextes fruchtbar wäre. Außer an das Umfeld der kybernetischen Theoriebildungen wäre dabei beispielsweise auch an die Hermeneutik zu denken. Immerhin thematisiert sie die von Dickie angesprochene Enkulturation von Künstlern und Publikum als "Vorverständnis"; und auch sie ist mit dem Problem der "inflected concepts" zumindest teilweise und unter dem Titel des "hermeneutischen Zirkels" vertraut.
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